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Fontanes Plaue

Das Buch "Fontanes Plaue" ist eine umfassende Darstellung alles dessen, was Fontane an Plaue gefesselt hat und auch heute noch seinen Reiz ausübt! Mit Originaltext Fontanes aus seinen Werken, Hintergrundinformationen zu Fontanes Wirken in und über Plaue in Auszügen. Das Buch stammt aus den Federn von Gunter Dörhöfer und Annete Geisler.

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"Im Geleit" schrieb Gunter Dörhöfer folgende Zeilen:
THEODOR FONTANE (1819 - 1898) hat dem Städtchen Plaue an der Havel - heute ein Ortsteil von Brandenburg an der Havel in seinem Band Schlösser - Altes und Neues aus Mark Brandenburg“ , das er als Ergänzung zu seinen vier Bänden „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ 1889 kurz vor seinem Tode herausgegeben hat, ein bleibendes literarisches Denkmal gesetzt. Fontane hat es sehr bedauert, dass er die alte Chur- und Hauptstadt Brandenburg selbst nicht hat würdigen können: „.. so viel ich mich auch mit Einzelpartien unserer Mark beschäftigt habe, zu einem auch nur leidlich gründlichen Studium der einst wichtigsten Stadt des Landes, hin ich nie gekommen... “. So ist aber nun verspätet über - das mittlerweile zur Stadt Brandenburg gehörige – Plaue doch noch der Bezug hergestellt.

Seine Texte beruhen auf Notizen und Recherchen, die er in der Phase Mai 1874 bis April 1880 in Plaue gesammelt hat. Fontane hatte sich mit CARL FERDINAND WIESIKE angefreundet, der dem Schloss gegenüber die Gutsanlage Margarethenhof aufgebaut hatte und sich dort für Homöopathie und Schopenhauers Philosophie einsetzte. Besonders bei der Philosophie trafen sich die Interessen der beiden älteren Herren, die bis zum Tode Wiesikes (1880) jedes Jahr gemeinsame Stunden „unter Plaues ewig blauem Himmel“ verbrachten. Zum Wohlbefinden trug bei, dass der Bruder CF. Wiesikes in Brandenburg a.d.Havel eine gut bestückte Weinhandlung betrieb und deshalb die Lieferung bester Rot- und Weißweintropfen gewährleistet war.

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Fontane hat in seinem Kapitel „Plaue a.H.“ die Historie des Ortes detailliert beschrieben und vieles über die jeweils handelnden Personen berichtet. Hier wird der Text des Kapitels ungekürzt abgedruckt und durch Illustrationen ergänzt und bereichert, die die von Fontane behandelten Personen betreffen, aber auch Themen, die von ihm herangezogen wurden. Einige der abgebildeten Objekte (z.B. Grabplatten der älteren Schlosspatrone) befinden sich in Plaue und können besichtigt werden. Die behandelten Gebäude (Schloss, Kirche, Wiesike-Villa) sind weitgehend noch vorhanden, wenn auch (außer Kirche) derzeit (noch) in keinem guten Zustand. Das Wiesike - Erbbegräbnis allerdings ist kürzlich saniert worden. Schloss und Wiesike - Villa harren noch der Sanierung.

Im Ort ist ein „Fontaneweg“ eingerichtet und beschildert worden, der die Stationen der von Fontane geschilderten Lokalitäten erlebbar macht. Ergänzend sind Informationen über die Wiesike Familie zusammengetragen worden.

Der Leser mag sich fragen, ob denn die Auseinandersetzung mit dem Thema Fontane und Plaue in unsere Zeit passe und ob sich für ihn/sie damit ein Gewinn erbringe. Man muss, um Fontane zu würdigen, nicht nostalgisch sein und sich auch nicht in die Kaiserzeit zurücksehnen. Günter de Bruyn hat sich zeit seines Lebens mit Fontane - auch kritisch - befasst. In seinen „Deutsche Zustände“ ist ein Kapitel der kritischen Betrachtung der „Wanderungen“ gewidmet. De Bruyn betont, dass es Fontane vorrangig darum ging, „das Ansehen der Mark zu heben“. Dabei war sein Hauptstilmittel, die Geschichte mit Landschaften und Orten zusammenzubringen; nicht das Schöne stand im Vordergrund, sondern das Bedeutungsvolle. Hässliches und Bösewichte bleiben ausgespart.
Aus politischen Dingen hat sich Fontane weitgehend herausgehalten und auch soziale Aspekte sind ihm selten erwähnenswert.

De Bruyn’s Urteil kann auch uns heutigen Wegweisung sein:
“....die Wanderungen [charakterisiert] eine Wirklichkeitsverklärung,
die nicht Verschönerung, sondern Sinngehung bedeutet, eine Heiligung des Profanen durch Anbindung an Örtlichkeiten, Identitätsstiftung durch Tradition... Wichtig genommen wird nicht das Wichtige, sondern das zum Ort Passende und Eingängige… Was auf diese Weise entsteht ist eine Art brandenburgisch-preußischer Mythologie“

In diesem Sinne möge dieses Büchlein dazu dienen, die Kenntnisse über Fontanes Plauer Wirken zu vermitteln und damit ihm den gebührenden Platz im kollektiven identitätsstiftenden Bewusstsein der Plauer und ihrer Freunde zu ebnen.

Plaue an der Havel, Oktober 2010 Gunter Dörhöfer

Kapitel Plaue a.H. aus "Fünf Schlösser (ab Seite 10)

Details aus diesem Bereich finden Sie unter dem Menüpunkt "Fünf Schlösser".

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Hier ein Auszug aus dem Vorwort:

Fünf Schlösser! Fünf Herrensitze wäre vielleicht die richtigere Bezeichnung gewesen, aber unsere Mark, die von jeher wenig wirkliche Schlösser besaß, hat auf diesem wie auf jedem Gebiet, immer den Mut der ausgleichenden höheren Titulatur gehabt und so mag denn auch diesem märkischen Buche sein vielleicht anfechtbarer, weil zu hoch greifender Titel zugute gehalten werden. Nur Plaue war wohl wirklich ein Schloß.

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Das Buch einfach als eine Fortsetzung meiner »Wanderungen« zu bezeichnen oder gar in diese direkt einzureihen, ist mit allem Vorbedacht von mir vermieden worden, da, trotz leicht erkennbarer Verwandtschaft, doch auch erhebliche Verschiedenheiten zutage treten. In den Wanderungen wird wirklich gewandert, und wie häufig ich das Ränzel abtun und den Wanderstab aus der Hand legen mag, um die Geschichte von Ort oder Person erst zu hören und dann weiter zu erzählen, immer bin ich unterwegs, immer in Bewegung und am liebsten ohne vorgeschriebene Marschroute, ganz nach Lust und Laune. Das alles liegt hier anders und wenn ich meine Wanderungen vielleicht als Plaudereien oder Feuilletons bezeichnen darf, so sind diese »Fünf Schlösser« ebenso viele historische Spezialarbeiten, Essays, bei deren Niederschreibung ich um reicherer Stoffeinheimsung und noch häufiger um besseren Kolorits willen, eine bestimmte Fahrt oder Reise machte, nicht eine Wanderung.
Zu meiner besonderen Freude hat ein glücklicher Zufall es so gefügt, daß die zu verschiedenen Zeiten und ohne Rücksicht auf ein Ganzes entstandenen Einzelarbeiten, in ihrer Gesamtheit schließlich doch ein Zusammenhängendes bilden, eine genau durch fünf Jahrhunderte hin fortlaufende Geschichte von Mark Brandenburg, die, mit dem Tode Kaiser Karls IV. beginnend, mit dem Tode des Prinzen Karl und seines berühmteren Sohnes (Friedrich Karl) schließt und an keinem Abschnitt unserer Historie, weder an der joachimischen noch an der friderizianischen Zeit, weder an den Tagen des Großen Kurfürsten noch des Soldatenkönigs, am wenigsten aber an den Kämpfen und Gestaltungen unserer eigenen Tage völlig achtlos vorübergeht. Freilich nicht jeder Abschnitt, mit vielleicht alleiniger Ausnahme des ersten (der Quitzowzeit), kommt zu seinem Recht, aber doch immerhin zur Erwähnung, und wenn sich auf dem Gebiete der eigentlichen Landesgeschichte sicherlich breiteste Lücken finden, so finden sich dafür auch Mitteilungen und Beiträge, die vielleicht geeignet sind, auf dem Gebiete der Kulturhistorie vorhandene Lücken zu schließen.
Vielen Gönnern und Freunden – und nicht zum letzten der bei meinen vielen Anfragen nie lässig oder ungeduldig werdenden Lehrerschaft von Wilsnack und Umgegend – bin ich für ihre freundliche Mitarbeit zu lebhaftem Danke verpflichtet, am meisten freilich den Familien Knyphausen (auf Lützburg in Ostfriesland) und Eulenburg, ohne deren Hilfe die Kapitel Hoppenrade und Liebenberg nicht geschrieben werden konnten. – Alle von mir benutzten Bücher sind, meines Wissens, im Texte genannt worden, mit alleiniger Ausnahme (weshalb ich es hier nachhole) des E. Handtmannschen Buches »Neue Sagen aus Mark Brandenburg«, einer trefflichsten Sagensammlung, der ich, in dem Quitzöwel-Abschnitt, den Stoff zur Geschichte von »Quitzow dem Judenklemmer« und überhaupt alles auf die Eldenburg Bezügliche entnommen habe.
Berlin, 20. September 1888            Th.F.

Fontane und Plaue (ab Seite 67)

... "Wunderbare Roman-Szenerie" oder "Jammernest"

Plaue erlebte durch Theodor Fontane eine umfassendste literarische Darstellung und verdankt ihm ein gutes Stück überregionaler Bekanntheit durch den Beitrag „Plaue a.H." im fünften Band seiner „Wanderungen durch die Mark Brandenburg".
Gewesen ist Fontane im Städtchen Plaue, das er in „Fünf Schlösser" (einem Band der „Wanderungen durch die Mark Brandenburg") beschrieben hat, des öfteren. Plaue als ehemaliger Quitzow-Besitz dürfte den historisch interessierten und besonders mit der Geschichte märkischer Adelsgeschlechter eng vertrauten Fontane schon früh interessiert haben.

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Die aus seiner Arbeitsphase um 1869/70 erhaltenen Dispositionsversuche (Fontane führte immer Tagebuch darüber, woran er gerade arbeitete) für den dritten „Wanderungen"-Band („Havelland", 1873) sahen bereits eigene (allerdings nicht ausgeführte) Kapitel über „Schloss Plaue" bzw. „Plaue und die Königsmarcks" vor. Jedoch erst die Bekanntschaft mit dem Landwirt, Parkgestalter und „Schopenhauer-Enthusiasten" Carl Ferdinand Wiesike, dessen Besitzungen „Schloss Plaue gegenüber" lagen, brachten Fontane dazu, sich erneut mit Stadt und Schloss zu beschäftigen. Im Winter 1873/74 hatte Fontane gemeinsam mit seiner Frau, der Familie Wangenheim und Pastor Windel Schopenhauer-Studien getrieben, die ihm nach eigenen Aussagen „sehr viel Freude" und „viel Anregung" gebracht hatten. Vor allem die Begeisterung für diesen deutschen Philosophen wird es gewesen sein, die ihn „in großer Kumpanei" (so im Plaue-Kapitel zu lesen) zu dem damals 76jährigenWiesike geführt hat.

Bis 1880 reiste Fontane nun jedes Jahr einmal nach Plaue. Zeugnis hierüber findet man in seinem sehr rege geführten Briefwechsel. So schrieb er am 14. Juli 1875 über eine gemeinsame Fahrt nach Plaue mit seiner Frau an Karl Zöllner:
"Diese letztre (die Gattin) hat mittlerweile auch ihre Triumphe gefeiert und zwar im Hause C.F.Wiesike´s auf Plaue bei Brandenburg. Bei diesem waren wir vier Tage der vorigen Woche, die Stunden zwischen Schopenhauer, altem Rheinwein und Naturgenuß gewissenhaft theilend. Alles geschah im Freien, vom Morgenkaffee an, und der ganze Kreislauf der Ernährung vollzog sich unter Plaues ewig blauem Himmel. Am Freitag, 8 Uhr Abends trafen wir mir einem Bohnen– und Kartoffelsack, den „Minchens“ liebevolle Hände noch in der Abschiedsstunde gefüllt hatten, wohlbehalten hier wieder ein..."


Am 17. Juni 1876 heißt es in einem Brief an die Tochter Martha: "Meine Reisepläne ruhn; ich werde nach dem 3. August, bis wohin ich [in der Akademie der Künste]  keinen Tag fehlen darf, auf eine halbe Woche zu Wiesike gehen, die Wirkung von Apfelwein und Schopenhauer auf mich abwarten und dann an meinen Schreibtisch zurückkehren."


Wie stark Fontane bereits zu dieser Zeit von Plaue und seiner Umgebung fasziniert war, geht aus dem „Melusine"-Entwurf vom Sommer 1877 hervor. Unter der Überschrift „Königsmarck-Wiesike. Plaue" notierte er: „Eine wundervolle Roman-Szenerie ist Plaue".


Die Daten der Besuche Fontanes bei C.F. Wiesike in Plaue sind in der Fontane-Chronik wie folgt ermittelt worden (Grawe 1998).

23.-25.Mai 1874 Gemeinsamer Besuch mit seiner Frau
Pfingsten 1875 Gemeinsamer Besuch mit seiner Frau
5.—9.Juli 1875 Gemeinsamer Besuch mit seiner Frau
Sommer 1876 Besuch allein
Anfang August 1877 Besuch
April 1878 Besuch
Anfang Mai 1879 Besuch
April 1880 Gemeinsamer Besuch mit seiner Frau


Bei seinem ersten Besuch in Plaue schrieb Fontane an Alexander Genz am 25.Mai 1874 von Wiesike aus: “Ich habe hier zwei, drei höchst angenehme Tage verlebt, die mich an die Tage mit Ihnen am Molchow– und Zermützelsee und dann in Gentzrode selbst lebhaft erinnert haben…. Plauerhof wird wohl mal ein Artikel werden wie Gentzrode; den Ungarwein (als Sänger-Lohn) hab ich hier vorweg genossen.“

Es ist wichtig, sich zu verdeutlichen in welche Lebensphase Fontanes diese häufigen Besuche in Plaue fallen.
Im Jahr 1874 widmet sich Fontane intensiv seiner Tätigkeit als Theaterkritiker. In diese Zeit fällt auch der Abschluss seiner Arbeiten am monumentalen „Der Krieg gegen Frankreich“. Ende September unternimmt er seine erste Italienreise bis Mitte November.
Auch die Jahre 1875 und 1876 sind voll mit Kritikarbeiten. Anfang 1876 beginnen die Arbeiten an seinem ersten Roman „Vor dem Sturm“, die bis April 1878 andauern werden. Ende 1878 beginnen die Arbeiten an „Grete Minde“ und dann „Schach von Wuthenow“.

Die Zeit in Plaue ist für Fontane immer eine Zeit des Ausruhens, auch in schwieriger persönlicher Situation. Fontane hatte am 11.3.1876 die Position eines Ersten ständigen Sekretärs der Akademie der Künste angetreten, aber bereits am 19.6. wieder gekündigt. Seine Frau reagierte mit Unverständnis und zog zuhause aus. Fontane begab sich für einige Tage nach Plaue.

Auch der Weinhändler Friedrich Wilhelm Wiesike gehörte zum Fontane´schen Bekanntenkreis. Am 15.Juni 1978 schreibt Fontane an seine Frau: „Vorgestern besuchten mich auch Weinhändler Wiesike und Frau. Wenn ich mir die letztre ansehe und dann ihn, so kann ich ein Staunen nicht unterdrücken, daß er noch so imstande ist. Er ist offenbar von der zähen Sorte. Unser alter W. und Minchen sind immer krank gewesen; ich will mal an ihn schreiben.“

Am 11. Oktober 1880 starb Wiesike und Fontane verfasste einen Nachruf in der Vossischen Zeitung, der später in Teilen im Kapitel des Bandes „Fünf Schlösser“ verwertet wurde. Der Nachruf ist manchmal frischer, wärmer, lebendiger und persönlicher als die spätere Buchfassung. Er fügt der Charakteristik Wiesikes Züge ein, die später weggeblieben sind (Hübscher 1970 ).

Der Kontakt zu den hinterbliebenen Wiesikes blieb weiterhin erhalten. Himmelfahrt 1881 (26.Mai) vermerkt Fontane: „Briefe geschrieben an Dr. Friedmann, Lepel, Wiesike in Plauerhof und Pastor Wendland in Groeben“. Unter dem 23.April 1882 notiert Fontane in seinem Tagebuch: „Besuch von A. Wiesike (früher in Dresden) der mir die Stiftungsurkunde für ein zu gründendes „Wiesike-Hospital“ bringt“, Am 9. Mai ist Hauptmann Albert Wiesike wieder zu Besuch.

Mit dem Tod Wiesikes endet jedoch zunächst Fontanes Interesse an dem Städtchen selbst. Erst sieben Jahre später widmete er sich (im Zusammenhang mit der Quitzow-Geschichte) erneut Plaue. Er zog sich im Juli 1887 in eine Pension am Rüdersdorfer Kalksee (östlich von Berlin) zurück, um die beiden Aufsätze über Quitzöwel und Plaue zu schreiben. In Briefen an seine Frau schildert er seine Eindrücke von Rüdersdorf aus, am 7. Juli:

"Der Ort [Rüdersdorf] wirkt so wie Plaue, Wilsnack etc. Alle diese Jammernester haben irgendwo einen Charme, eine relative Bedeutung: in Plaue das Schloss samt seinen historischen Erinnerungen , in Wilsnack die Wunderblutkirche mit ihrer immerhin interessanten Geschichte, in Rüdersdorf das Bergwerkswesen und die Wichtigkeit desselben für Berlin." , am 23. Juli:  „Mit Plaue habe ich heute schon begonnen und all die alten Wiesicke-Notizen wieder durchgelesen. Wie viele wunderbare Heilige hat man schon kennengelernt.“

Wahrscheinlich entstand hier in Rüdersdorf eine Rohfassung für das Plaue-Kapitel. Im Tagebuch schreibt er dann: „Im August war ich wieder in Berlin und setzte hier die obengenannten märkischen Arbeiten fort." Danach begann Fontane jedoch mit der Niederschrift seines Romanes „Unwiederbringlich" und erst zu Beginn des Jahres 1888 wandte er sich Plaue wieder zu.  Am 8. Februar 1888 berichtet er seiner Schwester Elise: "Ich habe eben einen 50 bis 60 Seiten langen Aufsatz beendet, ein großes märkisches Kapitel. Im Sommer, aber nicht eher (sonst bin ich von vornherein verloren), werde ich ihn bei der Vossin einreichen, und vielleicht wird er da angenommen“.

In dieser Zeit hat Herrmann Wiesike. der Neffe von C.F.Wiesike, wiederholt versucht, Fontane auch für die Stadt Brandenburg zu begeistern. Am 13. Juli 1888 schreibt Fontane an ihn: "Hochgeehrter Herr, Empfangen Sie meinen ergebensten Dank für Brief und Buchsendung, womit Sie mich geehrt und erfreut haben. Den Wegweiser durch Brandenburg werde ich mit ins Gebirge nehmen und mußevoll lesen, denn so viel ich mich auch mit Einzelpartien unserer Mark beschäftigt habe, zu einem auch nur leidlich gründlichen Studium der einst wichtigsten Stadt des Landes, bin ich nie gekommen…“

Der Plaue-Artikel erschien zuerst (unter dem Titel „Schloß Plaue a.H.") am 13., 15., 17., 20. und 23. Juni 1888 in der Vossischen Zeitung. Für die Buchausgabe nahm Fontane einige wenige stilistische Korrekturen an der Fassung des Vorabdrucks vor. Mitte Oktober 1888 wurde der Band "Fünf Schlösser. Altes und Neues aus Mark Brandenburg", der auf 1889 vordatiert ist, als einzige Ausgabe zu Lebzeiten des Autors ausgeliefert.

Nachruf auf Wiesike (ab Seite 72)

... aus der Vossischen Zeitung

Auf seiner Besitzung bei Plaue a.H. starb am U.d.M. im zweiundachtzigsten Lebensjahre Carl Ferdinand Wiesike, ein durch Gaben des Geistes und Gemütes ausgezeichneter Mann.
Einer alten, noch am Orte blühenden Kaufmannsfamilie zu Brandenburg a. H. entsprossen, ergriff er selbst den kaufmännischen Beruf und war, in seiner Jugend, in dem hiesigen Heylschen Geschäfte, Leipziger Straße, tätig. Aber schon in den zwanziger Jahren übernahm er die Leitung einer bei Plaue, gegenüber der alten Quitzow-Schloßkapelle, neubegründeten Ziegelei, deren Erträge sehr bald ihn in den Stand setzten, ein angrenzendes, räumlich nicht unbedeutendes Territorium an sich zu bringen. Es war aber zu größerem Teil ein steriler Boden, und so richtete sich denn von Anfang an sein Sinnen und Trachten auf Melioration. Die Frage war nur wie? ...

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Das Verfahren, das er einschlug, zeigte gleich im Beginn einer Laufbahn das praktische Genie, das auf abseits des Weges gelegene Hilfsmittel verfiel. Es handelte sich um Herbeischaffung von Dünger, und da sich vorläufig, bei der unbedeutenden Ertragsfähigkeit der Ländereien, eine grade Dünger produzierende Wirtschaftsführung verbot, so schloß er mit den Marstallvorständen in Potsdam ein Abkommen, wonach ihm der auf Havelkähne geladene Stalldünger bis unmittelbar an seine den Fluß entlang gelegenen Ländereien herangeführt wurde. Das Guano-Bewirtschaftungsprinzip vor Anbruch der Guano-Zeit. Die Distanz betrug 4 Meilen, auf dem Wasserwege vielleicht 6, aber der kaufmännische Kalkül war so sicher gemacht, daß unser Neuerer die lächelnden Besserwisser bald zum Schweigen brachte. Wiesike prosperierte, wurde reich und zog sich, als er sein fünfzigstes Lebensjahr überschritten, von den Geschäften zurück, um den Rest seiner Tage »comme philosophe« zuzubringen. Er gründete sich sein »Sanssouci« an derselben Haveluferstelle, die der Ausgangspunkt seiner reichen schöpferischen Tätigkeit gewesen war, und wandelte das einfache Haus, von dem aus er seine Ziegel- und Landwirtschaft geführt hatte, in eine von geschmackvollen Parkanlagen umgebene Villa um. Ein entzückender Ruhesitz, an dem es ihm noch an die dreißig Jahre vergönnt war, in voller Geistesfrische zu leben und gastfrei zu sein und Wohltaten zu spenden.
Es ist aber doch ein anderes noch, um dessentwillen diese Zeilen seiner gedenken. Er war nicht bloß ein genialer Praktiker, der nach eigenem selbständigen Gedenken sich vorwärtszubringen verstand, er hatte das »eigene Denken« auf jedem Gebiete und verachtete nichts so sehr als den Glauben an das allein Seligmachende der Überlieferung. Er ließ die Tradition gelten, er respektierte sie sogar und war weitab davon, ein Reformer à tout prix sein zu wollen, aber ebenso gewiß er alles Neue kritisch ansah und es nicht eher annahm, als bis es die Probe bestanden, ebenso kritisch verhielt er sich gegen das Alte, dessen Anspruch auf Gültigkeit, bloß weil es alt, er mit jugendlichem Eifer bestritt. Und so kann es denn kaum noch überraschen, daß wir ihn auf den verschiedensten geistigen Gebieten als einen eifrigen Förderer epochemachender Ideen und unter den begeistertsten Vorkämpfern ebendieser erblicken.

Unmittelbar fast nach Hahnemanns Auftreten trat er in persönliche Beziehungen zu diesem und bekannte sich nicht nur zu den Grund- und Lehrsätzen desselben, sondern ward auch, wenn man diesen Ausdruck gestatten will, der Homöopathenapostel für den alten Gau Heveldun. Ein vollkommenes Wallfahrten begann, und es gab Tage, wo die Heilung suchenden Leute bis zu Hundert und darüber auf seinem Flur und, als dieser sich zu klein erwies, auf seinem Hofe lagerten. Altehrwürdige Interessen von Doktor und Apotheker wurden dadurch derartig geschädigt, daß nach einer Reihe von Jahren ein Verbot gegen ihn erging, dessen gesetzliche Zulässigkeit unbestritten bleiben soll; aber nicht weniger unbestritten ist wohl die Tatsache, daß er vielen Tausenden ein Trost- und Gesundheitsspender, in der ganzen Brandenburger Gegend ein Pionier und Konquestador für die neue medizinische Lehre gewesen ist. Er hielt an ihren Grundsätzen fest bis zuletzt und hat es, wie seine zweiundachtzig Jahre bezeugen, nicht zu bedauern gehabt.

Es war Ende der zwanziger Jahre, als er enthusiastischer Homöopath wurde; dreißig Jahre später ergriff ihn ein zweiter Enthusias­mus: er wurde Schopenhauerianer. Wenn ich nicht irre, war es der damalige Redakteur dieser Zeitung, Dr. Lindner, der ihn auf Schopenhauer hinwies und in dem vorgeschrittenen Fünfziger eine Begeisterung weckte, die bald über die des Anregung gebenden ersten Lehrers hinauswuchs. Wiesike trat in persönliche Beziehungen zu Schopenhauer wie früher zu Hahnemann, unterließ es selten, alljährlich bei dem »Meister in Frankfurt« vorzusprechen, und war einer der Eifrigsten unter denen, die — ich weiß nicht mehr, bei welcher Gelegenheit — eine große Schopenhauer-Feier anregten und durchführten. Er spendete den Ehrenbecher, er erstand das Bild des Meisters und kaufte schließlich, aus dem Nachlasse des Heimgegangenen, den Ehrenbecher zurück, den er einige Jahre vorher demselben überreicht hatte. Man glaube jedoch ja nicht, daß dies alles nur Taten eines von einer Koterie geschickt »Eingefangenen« gewesen wären -  der alte, kluge Wiesike war nicht der Mann danach und durfte mit Windthorst-Meppen sagen: »Wer mich einfangen will, der muß früher aufstehen.« Alles, was er an Huldigungen bei dieser und anderen Gelegenheiten darbrachte, sproß nicht aus Eitelkeit und sich geschmeichelt fühlendem Mottenbürgertum (über das er weit hinaus war), sondern aus jener innerlichen Überzeugung, die dem Wissen und dem Zuhausesein in den Disziplinen entsprießt. Er hatte seinen Schopenhauer wohl zwanzigmal gelesen, bis zum Auswendigwissen ganzer Kapitel, und war in jeder Faser seines Wesens von ihm durchdrungen. Und daß der Pessimismus nicht ruiniert, sondern unter Umständen auch eine fördernde, humanitäre Seite hat, dessen konnte man an dem alten Wiesike gewahr werden. Er hatte das Mitleid — nach Schopenhauer der Menschheit bestes Teil —, und es sind ihrer viele, die die Segnungen dieses Mitleids erfahren haben.

Es mögen jetzt sieben Jahre sein, daß ich den alten Herrn auf seiner anmutigen Besitzung kennenlernte. Seitdem sah ich ihn öfter, meist wenn ich abgearbeitet und elend war, und nie bin ich von ihm fortgegangen, ohne mich an seiner Havel, an seinem Wein und, um das Beste nicht zu vergessen, an ihm selber erholt zu haben. Er verstand zu beleben, zu trösten, ohne daß je ein Trosteswort über seine Lippen gekommen wäre. Dazu war er viel zu klug und viel zu fein. Ich kann seiner nicht ohne Dank und Rührung gedenken und zähle die mit ihm verplauderten Stunden zu den glücklichsten und bestangelegten meines Lebens. Heute (Freitag) wird er in seinem Park, an längst vorherbestimmter, von einem hohen Obelisk überragter Stelle begraben, und ich bezweifle nicht, daß Hunderte von nah und fern herbeigeeilt sein werden, um dem Senior, dem Wohltäter und vor allem dem guten Menschen ein letztes Liebeszeichen aufs Grab zu legen. Und das will ich auch, wenn der Fliedergang wieder blüht, der, in langem Spaliere, von dem Park aus nach dem Obelisken aufwärts führt.

Th. Fontane und C.F. Wiesike (ab Seite 75)

... gemeinsamme Sucher nach dem Sinn des Lebens?

F. Wiesike hatte sich auf seinem Ruhesitz in Plaue ab der 1850´er Jahre mit philosophischen Themen befasst und dabei den Ehrgeiz, möglichst den Personen auch persönlich nahe zu sein, die zu seiner Zeit an derartigen Themen arbeiteten. Das waren im damaligen Deutschland besonders Artur Schopenhauer (1788-1860) und Friedrich Nietzsche (1847-1900), zu beiden bestand Briefkontakt.

Die Schriften Schopenhauers haben zunächst sein besonderes Interesse gefunden und er suchte alles zu erwerben, was an den großen Meister erinnerte: er pflegte einen regelrechten Schopenhauer-Kult. Wiesike war 10 Jahre jünger als Schopenhauer, beide waren Mitte des 19.Jh. bereits in hohem Alter. ...

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Arthur Hübscher (1980) befasst sich mit diesem Thema in seinem Artikel über Fontanes „Melusine“: „Wiesike war „ein durch Gaben des Geistes und des Gemüts ausgezeichneter Mann". Er hatte die Leitung der neuen Ziegelei gegenüber der alten Quitzowischen Schloßkapelle übernommen, das Unternehmen gedieh, er konnte sein Besitztum bald vergrößern und einen ausgedehnten landwirtschaftlichen Betrieb hinzufügen. Die Ziegel wurden auf der Havel nach Berlin geschafft, und die Schiffe kehrten mit großen Mengen Potsdamer Stalldüngers zurück, mit denen Wiesike das Sand- und Sumpfland meliorisierte. Nach dem 50. Lebensjahr zog er sich von den Geschäften zurück, schuf sein bescheidenes Wohnhaus in einen schönen Ruhesitz um und begann, sein eigentliches Leben zu führen, ein Leben, das nur drei Dingen gewidmet war: der Anlage eines Parks rings um sein Anwesen, der Homöopathie Hahnemanns, mit der er zahlreichen Armen und Kranken des Havellandes, zum Missfallen der Ärzte und Apotheker, Hilfe brachte, und der Philosophie Schopenhauers. Auf Schopenhauer war er in den fünfziger Jahren durch den befreundeten Redakteur der Vossischen Zeitung, Ernst Otto Lindner (1820-1867), hingewiesen worden. Er suchte den Philosophen mehrmals (in den Sommern 1854, 1855, 1856) in Frankfurt auf, er erwarb das erste Ölbild Schopenhauers, das Lunteschütz gemalt hatte, und als Schopenhauers 70. Geburtstag gefeiert wurde, machte er ihm einen mächtigen silbernen Pokal zum Geschenk, darauf Schopenhauers Name „und ein hoher Spruch zum Lobe der Wahrheit und ihrer Kraft". Nach Schopenhauers Tod erwarb er nicht nur den Pokal zurück, er kaufte auch die kostbare Handschrift des zweiten Bandes der „Welt als Wille und Vorstellung" an und weitere Manuskripte aus Lindners Nachlass, die dieser in dem gemeinsam mit Julius Frauenstadt verfassten Buch „Arthur Schopenhauer. Von ihm. Über ihn"(Berlin1863) veröffentlicht hatte.

Über die Erstellung des Ölgemäldes vermerkt Schopenhauer : Mein Bild ist fertig und verkauft. Wiesike**) hat sich zu rechter Zeit eingefunden und hat es von der Staffelei weggekauft für 250 fl. — Das Unerhörteste aber ist, dass er mir und dem Maler sehr ernsthaft gesagt hat, er wolle für dieses Bild ein eigenes Haus bauen, darin es hängen soll! — Das wäre dann die erste mir errichtete Kapelle.

Wiesike machte Nachbarn und Freunde mit der Lehre Schopenhauers bekannt, — anscheinend auch die Gräfin Königsmarck vom Schlosse gegenüber, die im Sommer 1857 mit einer Standesgenossin in Frankfurt war und dort Schopenhauer aufsuchte. In den sechziger Jahren war der alte Herr durch seine gastlichen, immer mit einem Schopenhauer-Kult verbundenen Empfänge —in einem großen, eigens dazu erbauten Gartensaal — schon weithin bekannt geworden.“

Wiesike befand sich in der Verehrung Schopenhauers durchaus in der Gesellschaft vieler Intellektueller der damaligen Zeit. Auch Nietzsche war zu einem Jünger Schopenhauers geworden, als er 1865 zu diesem nach Leipzig kam. Schopenhauer war auch für ihn ein großer philosophoscher Halbgott, der größte des ganzen letzten Jahrtausends. Dieser war zum Modephilosophen geworden.

Ross (1999:163) erläutert was einen überzeugten Schopenhauerianer auszeichnete: "vor allem eine Front beziehen, sich im Kampf der Richtungen und Weltanschauungen einen Standort, ein Lager suchen. Genauer: eine dritte Front war aufzumachen, gegenüber der alten Rechten, der konservativen Reaktion, die sich um Thron und Altar scharte und die Kreuzzeitung las, und den Fortschrittlern, den Liberalen, den Zeitgeist-Trägern,“

Der junge Nietzsche gibt seinem Freunde Erwin Rohde am 6. August 1868 folgende, auf Berichten eines dritten Freundes, Carl von Gersdorff beruhende Schilderung:

"In Plaue an der Havel, unweit Brandenburg, lebt ein Rittergutsbesitzer Wiesike, ein wirklicher Freund Schopenhauer's, der Einzige, der ein wohlgelungenes Porträt in Oel von dem großen Manne besitzt. Ein echter Schüler, ein vielgebildeter Mann, ein genialer Landwirth, der eine elende Sandscholle in fruchtbares Land umgewandelt hat (Gersdorff berichtet ausführlich über die Methode: Kavalleriemist aus den Berliner Ställen spielt dabei die Hauptrolle), ist er jetzt reich und seines Reichthums würdig; für seine Armen hält er einen eigenen Arzt mit 800 Thl. Gehalt etc. Er hat ein gastfreies Haus, einen vorzüglichen Weinkeller, dessen feinste Weine immer nur in einem Pokale kreisen, der dem Manne gehört hat, dessen Genius in diesem Hause waltet. Jeder Besucher empfängt zum Abschiede ein Porträt Schopenhauer's und ein Bild von seinem Wohnhause in Frankfurt, wohin Herr Wiesike alljährlich eine Wallfahrt angetreten hat."

Man pflegte bei Wiesike den Geburtstag Schopenhauers in gebührender Form zu feiern. Am 22. Februar 1869 konnte Gersdorff an dieser Feier teilnehmen. Als Motto für den Tag war ein Wort Schopenhauers über den Genuß der Gegenwart gewählt. Nietzsche war Professor [in Basel] geworden, man trank auf sein Wohl mit Steinberger 57´er im umgehenden Silberpokal, Wiesike hielt eine kleine Rede, und nach dem Braten wurde ein Stück aus Schopenhauers Nachlass verlesen (Hübscher  1970).

"Erinnert das nicht an die erste Christengemeinde und ihre Trunkenheit in süßem Wein?“ fragt Rohde, nur halb mit Ironie. (Ross 1999).

Wiesike übersendet auch Nietzsche am 23.Oktober 1869 ein Foto Schopenhauers:

Carl Ferdinand Wiesike an Nietzsche in Basel
Dem Herrn Dr. und Professor Fr. Nietzsche in Basel erlaubt sich als ein Sinnesgenosse, hiermit seinen Herzlichen Gruß zu senden, und eine größere Photographie unseres Meisters Schopenhauer, zu der er noch Selbst gesessen hat, durch Freundeshand zu übermitteln, welche ich bitte als ein Zeichen meiner Hochachtung geneig(te)st freundlich anzunehmen. Ihr Ergebener,  C. Wiesike sen.

Fontane wird von Wiesike in das Werk Schopenhauers initiiert. Der erste Besuch Fontanes in Plaue findet im Mai 1974 statt, 6 Jahre nach dem Bericht Nietzsches und 14 Jahre nach dem Tod Schopenhauers.

Danach entwickelte sich eine enge Freundschaft zwischen den beiden älteren Herren, die für sich Schopenhauer entdeckt hatten. Fontane kann auf Wiesikes „Schatz“ der Werke Schopenhauers zurückgreifen und hat sich etliche Werke von diesem ausleihen können. Er konnte auch die Autographen der Schopenhauer-Werke bewundern und hat dieses ja auch zu seinen Auszügen im Wiesike - Kapitel genutzt.

Fontane weilte bis zum Tod Wiesikes jedes Jahr in Plaue (s. vorn, Geiseler & Dörhöfer). Auch die persönlichen Kontakte waren eng. So notierte Fontane in seinem Tagebuch 1878: Im Juli 1878 reisen wir...nach Wernigerode..[..] Der alte Wiesike, Minchen und sein Neffe bewohnen 14 Tage lang mit uns  dasselbe Haus.

Was ist nun von dieser Auseinandersetzung mit Schopenhauer zu halten und was mag die beiden „Denker“ daran fasziniert haben?

Dafür ist es wichtig, einen kurzen Blick auf Schopenhauers Person und Werk zu werfen. Das hat in besonders kritischer und humorvoller Weise Bertrand Russel in seiner „Philosophie des Abendlandes“ getan.
"Schopenhauer (1788-1860) nimmt in vieler Beziehung eine Sonderstellung unter den Philosophen ein. Er ist Pessimist, während fast alle anderen in irgendeinem Sinne Optimisten sind. Wenn er auch nicht so ausgesprochen akademisch ist wie Kant und Hegel, so steht er doch auch nicht gänzlich außerhalb der akademischen Tradition. Er hat eine Abneigung gegen das Christentum und fühlt sich mehr zu den beiden indischen Religionen, dem Hinduismus und dem Buddhismus, hingezogen. Sehr gebildet, interessierte er sich genauso für künstlerische wie für ethische Fragen. Jeglicher Nationalismus ist ihm ungewöhnlich fremd, und in englischen und französischen Schriftstellern kennt er sich ebenso gut aus wie in den Autoren seines Vaterlandes. Auf zünftige Philosophen hat er stets weniger gewirkt als auf Künstler und Literaten, die nach einer glaubwürdigen Philosophie suchten. Mit ihm begann die Betonung des Willens, die für viele philosophische Systeme des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts charakteristisch ist; aber für ihn ist der Wille zwar metaphysisch von fundamentaler Bedeutung, ethisch jedoch etwas Böses - ein Gegensatz, der nur bei einem Pessimisten möglich ist. […] Seine Weltanschauung hat in der Stimmung eine gewisse Verwandtschaft mit dem hellenistischen Zeitalter; sie ist müde und kränklich und schätzt den Frieden höher als den Sieg, den Quietismus höher als Reformversuche, die er für unvermeidlich ergebnislos hält…..[..]

Schließlich ließ er sich in Frankfurt nieder, um dort das Leben eines alten Hagestolzes zu führen. Er hielt sich einen Pudel namens Atma (Weltseele), ging täglich zwei Stunden spazieren, rauchte eine lange Pfeife, las die Londoner Times und hatte Agenten angestellt, die nach Zeugnissen für seine Berühmtheit fahnden mußten. Er war ein Gegner der Demokratie und haßte die Revolution von 1848; er glaubte an Spiritismus und Magie; in seinem Studierzimmer standen eine Büste von Kant und ein bronzener Buddha. In seiner Lebensweise suchte er Kant zu kopieren; nur stand er des Morgens nicht so früh auf.

Sein Hauptwerk, Die Welt als Wille und Vorstellung, wurde gegen Ende des Jahres 1818 veröffentlicht. Er hielt es für sehr bedeutend und verstieg sich sogar zu der Behauptung, einige Abschnitte darin seien ihm vom Heiligen Geist diktiert worden. Zu seinem großen Ärger machte es überhaupt keinen Eindruck. ...
Schopenhauer pflegte in einem guten Restaurant zu speisen; er hatte eine ganze Reihe trivialer Liebschaften rein sinnlichen Charakters, keine Leidenschaften; er war überaus zänkisch und ungewöhnlich geizig…. In allen anderen Beziehungen erwies er sich als reiner Egoist.“

Nietzsche machte dieses Bild eines verschrobenen und schwierigen Zeitgenossen durchaus zu schaffen und er ließ deshalb bei Wiesike nachfragen, was dieser denn vom Menschen Schopenhauer halte, dessen sonderbares Verhalten zunehmend seine Umgebung nervte. Wiesike zeichnete ein besseres Charakterbild Schopenhauers, was Nietzsche zunächst zufriedenstellte. Nietzsches Verehrung für die Philosophie Schopenhauers ließ später nach. als er seine eigene „Religion“ entwarf.

Bei Fontane hat der radikale Ansatz des Modephilosophen Schopenhauer zunächst ebenfalls einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Auch er war ja in seinem Denken unkonformistisch und hatte durchaus seine pessimistischen Phasen. Offensichtlich hat sich bei ihm jedoch eine letztlich eher positive Grundhaltung und sein Drang nach Wahrheit und Menschlichkeit durchgesetzt und damit dann auch die Abkehr von der absurd frauenfeindlichen Philosophie Schopenhauers.  Über seine Meinung zu Schopenhauer spricht seine Tochter Klartext. Am 5. August 1879 führt Mete (Martha) Fontane in ihrem Tagebuch aus: Gestern mit Papa ein längeres Gespräch über Schopenhauer geführt. Er war reichlich erstaunt darüber, daß er von mir daraufhin angesprochen wurde. Aber wie ich Papa kenne, vermutet er die Zusammenhänge, spielt indes mit Geschick und Können den Ahnungslosen, um Studien für seine Werke zu treiben. Seine Bereitschaft, mit mir über Schopenhauer zu reden, rechne ich ihm deshalb hoch an, weil der Philosoph mit der Magenverstimmung, wie er ihn unlängst nannte, für ihn ein rotes Tuch ist.

»Alles nur Programm«, hat er mal in einer Runde von Freunden behauptet, nachdem wieder Schopenhauer aufs Tapet gekommen war, »weil er ein Miesepeter gewesen ist, mußte die Welt für ihn miesepetrig sein. Alles nur Elend, blinder Trieb und die Menschheit nicht mehr als eine trübsinnige Herde ohne Verstand. Das ist mir nicht nur zu einfach. Ehrlich gesagt, es ist mir zu kleinkariert und pharisäerhaft verbittert.  Soweit Papa zu dem vielzitierten Herrn. Als ich nun mit ihm darüber sprechen wollte, was Schopenhauer über die Beziehung der Geschlechter geäußert hat, verfiel er in ein schallendes Lachen. So derb, daß Mama ihn strafend ansah und in die Küche ging. Gut für sie, denn Papa flüsterte mir ins Ohr, nach Schopenhauer habe er Mama nur deshalb geheiratet, um seinen Gattungstyp zu ergänzen. Was nichts anderes hieße, als daß Mama ihn erst zu einem richtigen Menschen gemacht habe«

Fontane hatte sich bereits seit dem Winter 1853 auf 1854 mit Schopenhauer befasst. Im Freundeskreis gab es regelmäßige Schopenhauer-Treffen. Hierüber berichtet Fontane an Mathilde von Rohr im Frühjahr: "Sehr viel Freude haben uns in diesem Winter unsre Schopenhauer-Abende gemacht. Wohl schon deshalb, weil sie maßvoll auftraten und nur alle 14 Tage wiederkehrten. wir haben doch viel Anregung dadurch empfangen."

An Zöllner schreibt er am 14.7.73: ..in die Tiefen Schopenhauers wird hinabgestiegen, und Wille und Vorstellung, Trieb und Intellekt sind beinahe Haushaltwörter geworden, deren sich auch die Kinder bemächtigt haben. Mete sagt nicht mehr „Theo, Du bist zu dumm“, sondern „suche das Missverhältniß zwischen Deinem Willen und Deinem Intellekt auszugleichen.“

An anderer Stelle findet Fontane zu einem Urteil über die Philosophie Schopenhauers: Geistvoll und interessant und anregend ist alles; vieles zieht einem einen Schleier von den Dingen oder von den Augen fort und gewährt einem den Genuß freudigen Schauens; über Dinge, über die man aus Mangel an Erkenntnis oder auch aus einer gewissen Feigheit im unklaren war, wird man sich klar; man hat die angenehme Empfindung, das erlösende Wort wurde gesprochen. In originellen, anschaulichen, wirklich glänzenden und dabei meist amüsanten Vergleichen ist er ein Meister ... Zahlloses ist unbillig, einseitig, falsch. Riesige Eitelkeit und Querköpfigkeit spielen ihm beständig einen Streich ... Nur immer einzelnes ist entzückend ... Es ist eine gefährliche Lektüre; man muß ziemlich alt und gut organisiert sein, um hier wie die berühmte Biene auch aus Atrope und Datura Honig zu saugen. Der Boden, auf dem dies alles wuchs, hatte doch nicht die richtige Mischung und war durch das Leben falsch gedüngt.

Das deckt sich doch weitgehend mit dem Urteil Bertrand Russells und zeigt auf, dass Fontane den „Meister“ gut durchschaut hat.
Das nur flüchtig skizzierte Romanfragment „Melusine" (1877) enthält unter der Überschrift „Koenigsmark — Wiesike Plaue" die Bemerkung: „Eine wundervolle Roman-Szenerie ist Plaue." Unter anderen Namen geben das Königmarck'sche Schloß und Wiesike's Haus den äußeren Rahmen des Fragments. Im Mittelpunkt der Handlung aber steht ein Mädchen unbestimmter (mexikanischer) Herkunft: eine Art von Wassernixe. Das Wasser ist ihr Element, sie liebt das Melusinenmärchen und Mörikes Gedicht von der Windsbraut. Und elementar geht sie zugrunde: am Abend vor der Hochzeit mit dem jungen Schlossherrn verschwindet sie, man weiß nicht wie, es klingt sagen- oder legendenhaft. Dem philosophierenden Alten  - Wiesike - wird die Schlussbetrachtung zugewiesen, er gibt dem zurückbleibenden Verlobten Trost (Hübscher 1970). Das Motiv ist im Stechlin-Roman wieder anzutreffen, vielleicht erinnert das Herrenhaus Stechlin dort an das Schloss Plaue.

Über die von Fontane behandelten Lokalitäten in Plaue (ab Seite 84)

Details dazu finden Sie auch unter der Rubrik unseres Fontaneweges: zum Ausgangspunkt ...

... im Buch werden folgende Lokalitäten behandelt:

  • Das Schloss Plaue
  • Die Pfarrkirche
  • Die Villa Wiesike und das Erbbegräbnis Wiesike

 

Weitere Kapitel im Buch "Fontanes Plaue"

Zum familiären Hintergrund (von Gunter Dörhöfer)

Der Qwitzowen Fall und Untergang (von Theodor Fontane)

Fazit über Plaue (von Theodor Fontane)